Installationen und Objekte

hauchdünn gespannt zwischen gestern und morgen und doch muss gestimmt werden weit über den kammerton

2001/2005, Installation, ca. 500 x 500 x 400 cm

6 digitale Megaprints in Bewegung
digitale Prints auf Folie, bewegt durch 6 Ventilatoren
je ca. 300 x 120 cm

6 Spiegelkästen
Stahl, Spiegel, Glas, Großdias, gravierte Schrift
je ca. 30 x 180 x 30 cm
6 schwenkbare Ventilatoren

gesprochener Text,
übereinander gelagert als Audio-Text im Raum

Text zur Ausstellung

Mariott Stollsteiner zeigt in ihrer Ausstellung in der Galerie Schloss Mochental die raumgreifende Installation between05 und vier Bilder aus der Serie interversionen.

between05 ist die Weiterentwicklung eines Installationskonzepts aus dem Jahr 2001, das nun speziell für den Hubertussaal im Schloss Mochental in einer neuen Form realisiert wurde: In einem raumhohen zwölfeckigen Stahlgerüst sind sechs große Folien beweglich aufgehängt, die von Ventilatoren in regelmäßigen Abständen in langsame Drehbewegungen versetzt werden. Die Konstruktion steht frei im Raum, ist betretbar und hat durch die Rotation der Folien ein sich immer wieder verwandelndes Antlitz ohne eindeutig vorgegebenen Ort für die Betrachter.

Die Folienpaneele sind mit komplexen Fotomontagen bedruckt, in denen Stollsteiner „Ikonen“ sehr unterschiedlicher Provenienz überlagert und ineinander verflicht. Zwei Bildräume treffen sich zum Dialog: Zum einen mythische Frauen – von einer antiken Skulptur der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Artemis über die Nike von Samothrake, Madonnendarstellungen aus der Kathedrale von Chartres, eine Tierkreis-Madonna aus dem Stundenbuch des Duc de Berry, die „Frari-Madonna“ von Tizian bis zu Marilyn Monroe und der australischen Leichtathletin Cathy Freeman. Zum anderen als biographische „Ahninnen“ der Künstlerin die eigene Großmutter sowie zwei Großtanten, deren Wirken als Schriftstellerin bzw. als biologisch-dynamische Landwirtin in Ägypten prägenden Einfluss auf die Künstlerin ausgeübt haben. Unter all diesen Bildern ruhen sechs stählerne Schreine am Boden, in denen zwischen Gläsern und Spiegeln mit eingravierten Texten von Novalis,Rudolf Steiner und Getrude Stein ein Kinderbild der Künstlerin eingesetzt ist. Akustisch umfangen wird der Bilderkosmos von einer Toncollage aus Texten und Liedern, die von der Künstlerin gesprochen sind und wie die Fotomontagen Welten übergreifen: Ein russisches „Halleluja“ trifft sich mit „Amazing Grace“ und Texten über „Liebe und Freiheit“ aus verschiedenen Zeiten und Kulturen.

between05 ist ein Bezugssystem,ein Raum,in dem nahe und ferne Personen, vertraute und entlegene Kulturen zusammenkommen. Stollsteiner vermischt die Elemente nicht, sondern stellt Beziehungen zwischen ihnen her. Es kommt ihr auf die Zwischenräume an, die zwischen ihnen entstehen und die der Ort für kritische Reflektion und neue Gedanken sind. Ein Auflösen von konventionellen hierarchischen Ordnungen mit dem Ziel der Bewusstwerdung dieser Ordnungen und der Erprobung neuer Formen des Wahrnehmens, Denkens und Fühlens geschieht auch in der Serie der interversionen, von denen in dieser Ausstellung vier zu sehen sind.

Die Formulierung von Transzendenz zwischen Spiritualität und irdischer Hierarchie wird in den interversionen über die Verfremdung von zwei Altarbildern in einen Zwischenraum der Reflektion gebracht: Das Altarbild aus einer Kirche im oberschwäbischen Bad Waldsee, dem Geburtsort der Künstlerin, und Tizians Gemälde der Himmelfahrt Mariä in der venzianischen Frari-Kirche (auch between05 ), aus dem hier die Figur Gottvaters als Repräsentant eines paternalistisch-hierarchischen Prinzips gelöscht ist. Stollsteiner hat diese Bilder in jeweils 200 Teile komplett fragmentiert und nach dem Zufallsprinzip rearrangiert.Was auch als große Installation präsentiert werden kann, ist hier auf bedruckten Plexiglastafeln zu sehen, die nach dem klassischen Bildmuster des Diptychons aufgebaut sind: Rechts ist en miniature das Feld der 200 Fragmente zu sehen, links steht eines dieser „Bildatome“ in Vergrößerung.

between05 und das in den vier Bildern vorgestellte Konzept der interversionen sind zwei Erfahrungsräume, die über den im Werk formulierten Kosmos der Künstlerin uns unser aller Verflochtenheit in Geschlechterrollen, biographische und kulturelle Bezugssysteme und unterschiedlichste Denk- und Wertemuster wahrnehmbar macht. Mariott Stollsteiner definiert den Raum „dazwischen“ als Ort der Kreativität und der Verwandlung, die aus dem Dialog und auch aus dem Konflikt zwischen dem Eigenen und dem Fremden, dem Individuum und seinem soziokulturellen Umfeld, dem Menschen und seinen Welten erwächst.

Thomas Huber