Im Steinbruch des Sozialen
Liebe und Freiheit: die Kölner Künstlerin Mariott Stollsteiner über die lohnende Mühe, Betriebe in Unternehmens-Skulpturen zu verwandeln.

brand eins: Gewöhnlich herrschen in der Wirtschaft zwei Sichtweisen auf die Kunst vor: unverdaulich, falls Sand im Getriebe des Marktes; verwertbar, falls repräsentativ oder rendite-steigernd. Und Sie glauben, zwischen Kunst und Kapital etwas bewegen zu können?
Stollsteiner: Es gibt diese Kunst, die als Aktie aufgehängt wird. Dann treffe ich in Konzernzentralen Kuratoren, die mir sagen: „Die Belegschaft versteht diese modernen Sachen nicht.“ Wenn ich sie aber frage, ob sie denn mal eine Diskussion gewagt hätten, heißt es: „Über Beuys kann man gar nicht diskutieren.“ Dabei könnte es der Anfang eines Prozesses sein, wenn die Mitarbeiter sagen: „Was für ein Käse hängt denn da? Das ist ja nur ein Fettfleck an der Wand.“ Sie haben damit ja zunächst mal Recht! Wobei ich dann weiterfragen möchte: Und jetzt? Aber ohne diese Frage bleibt das eine aufgehängte Aktie, Kapital, das nicht genutzt wird. Andererseits möchte ich gern mal rituell alle diese gerahmten Kandinsky-Drucke aus den Büros entfernen. An denen sehen die Menschen nichts mehr von dem, was das Original ausmacht. Wegschmeißen! Leer lassen! Warten, bis gute Kunst daherkommt, die mich wirklich aufregt und ein Gespräch erzeugt!

brand eins: Umgekehrt haben auch Künstler traditionell Hemmungen, sich „dem Kapital anzudienen“. Sie selbst vereinen – als bildende Künstlerin, Unternehmensberaterin und Ihre eigene Managerin – beide Welten in Ihrer Person. Bereichert Sie diese Grenzüberscheitung?
Stollsteiner: Ich gewinne wie fast jeder, der Grenzen überschreitet, etwas hinzu. In Unternehmen werden mir viele absolut präzise Fragen gestellt: Was kostet das? Wie geht es weiter? Wie kann ich davon profitieren? Und wenn ich im Atelier bin, nützt mir diese Präzision, die ich von der Wirtschaft gelernt habe. Ich muss meine Arbeiten ja konzipieren und exakt realisieren: so lang, so breit, da noch eine Bohrung rein. Umgekehrt kann ich in den Unternehmen als Beraterin die Potenziale von Menschen erschließen, ihre inneren Ziele, ihre tieferen Fragen. Ich kann das, weil ich im Atelier die Freiheit gelernt habe, zu erkennen, was ich selbst möchte.

brand eins: Gibt es bei aller Gegensätzlichkeit Parallelen zwischen Prozessen in der Kunst und im Management?
Stollsteiner: Meine beiden Leitworte sind Liebe und Freiheit. Die gehören in die Wirtschaft als Führungs-Kriterien, so wie man sie auch in der Kunst braucht: die Liebe, sich den Dingen vorurteilsfrei zuzuwenden, ihnen Raum zu geben, Spannungen auszuhalten. Und die Freiheit zu sagen: Hier bestimme ich, was aus der Sache heraus den jetzt gerade laufenden Prozess befördert. Das Wechselspiel zwischen Liebe und Freiheit führt in beiden Bereichen zu guten Ergebnissen.

brand eins: Sie wurden geprägt von Joseph Beuys, der jeden Menschen zum Künstler erklärte und die Welt zur „sozialen Skulptur“. Wie muss man sich eine AG oder GmbH als Skulptur vorstellen?
Stollsteiner: Zunächst ist sie nur eine irgendwie gewachsene Form, noch keine Skulptur, noch nicht bewusst gestaltet. Sie muss den Blick auf den Menschen richten und sich fragen: Was braucht der Einzelne im Unternehmen, um seine Individualität entwickeln zu können? Eine soziale Skulptur ist nie statisch, auch wenn der Name das vermuten ließe. Sie besteht in einem permanenten Prozess, der nie aufhört. Ich muss ununterbrochen meine Wärme und Liebe hineinfließen lassen, damit das in Bewegung bleibt. Nur solange Menschen das Unternehmen bewusst gestalten, kann man von einer Skulptur im Beuysschen Sinn reden. Das war für Beuys ein ganz wichtiger Faktor: dass ich mein Ich einbringen muss. Wird die Form von oben vorgegeben, bleibt es bei einer prächtigen Hülle, die man auch prima als Web-Auftritt präsentieren kann. Aber die Menschen dahinter verkaufen nur einen Prozentanteil ihrer Arbeitskraft an das Unternehmen oder haben innerlich schon gekündigt. Sie passen dann nur ihre Masken der Fassade an. Wer allerdings aus dieser Fassade ausbricht, rebelliert, dessen Ich ist oft stärker als die bürgerliche Rückzugs-Mentalität – und damit eigentlich wertvoller in einer sozialen Skulptur.

Wer zu fest auf einem Stein herumhackt, hat am Ende nur Brösel. Und wer seinem Kollegen permanent erklärt, was für ein Idiot er ist, produziert nichts als einen Haufen Scherben.

brand eins: Beim Drogeriemarkt-Unternehmen DM haben Kommissionierer, Lageristen und Verwaltungskräfte während der Arbeitszeit künstlerisches Training in der von Ihnen konzipierten „Fähigkeitenwerkstatt“. Ein äußerst ineffizienter Ressourcen-Einsatz, könnte man meinen.
Stollsteiner: Rein äußerlich – klar. Aber die Frage ist natürlich: In was wird damit langfristig investiert? In den klassischen Künsten liegen bestimmte Gesetzmäßigkeiten. Wenn ich zu fest auf einem Stein herumhacke, habe ich hinterher nur Brösel, aber keine Skulptur. Das lässt sich direkt aufs Soziale übertragen. Wenn ich meinem Kollegen permanent sage, was er für ein Idiot ist, müssen wir zwischen uns irgendwann einen Haufen Scherben kitten. Anderes Beispiel: Die Gruppe malt einen Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven. Man muss seinen Standort wechseln oder den Sachverhalt einmal herumdrehen, sich also vollständig in die andere Seite hineinversetzen. Und das nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen. Eine gute Investition!

brand eins: Ein Zauberwort der heutigen Management-Generation ist Vernetzung, vor allem per Internet. Ihre Kunst redet einer anderen Art von Vernetzung das Wort.
Stollsteiner: Internet-Vernetzung reiht Inhalte aneinander, die trotzdem oft nicht gleichzeitig bedacht werden. Für mich heißt Vernetzung, die Dinge in ihrer Gleichzeitigkeit wahrzunehmen. Das kann ich in der Kunst sehr viel leichter erreichen, wenn der Betrachter mitten in der Installation steht und sich selbst auch nicht mehr ausblenden kann. Ein Netzwerk fängt erst da an, wenn ich spüre, dass ich mittendrin stehe, weil ich permanenter Gestalter statt nur Betrachter bin. Beim Internet hat man doch meist den Eindruck, was da vor mir abläuft, geht mich gar nichts an, und dennoch verändert es meine Welt dramatisch. Das löst in mir heiligen Zorn aus! Im Zentrum meiner Installationen ist der Betrachter frei, zu entscheiden, sich der Spannung auszusetzen und dadurch innere Bilder im eigenen Ich entstehen zu lassen. Viele neue Medien bepflastern mich mit äußeren Bildern, bis ich völlig verklebt bin.

brand eins: Sollten sich deshalb gerade die IT-Unternehmen, die Computer-Start-ups, die Vernetzten und die Dezentralen Ihre Kunst-Seminare gönnen?
Stollsteiner: An der IT-Branche lässt sich am klarsten ablesen, was gesellschaftlich gerade entsteht. Dort leben die Menschen noch viel drastischer als anderswo. Nicht mehr mit haptischen, handgreiflichen Prozessen. Sie schauen permanent von außen auf eine Flut von Informationen und steuern enorm viel mit ebenso viel Verantwortung. Das Medium kann einen der Körperlichkeit und des Fühlens berauben. Insofern wäre es für diese Branche sehr wertvoll, wieder einmal zu fühlen: Was und wie gestalte ich da eigentlich in der Welt, auch für mich?

brand eins: Wie viel Prozent Umsatz- und Gewinnsteigerung garantieren Sie mir als Unternehmer, wenn ich Sie für ein Mitarbeiterseminar engagiere?
Stollsteiner: Kurzfristig garantiere ich gar nichts. In der künstlerischen Auseinandersetzung werden das prozessuale Denken geschult und die persönlichen Potenziale erlebt. Inwieweit die Teilnehmer diese Erfahrungen in die Unternehmens-Organisation einfügen, bleibt frei. Es geht um die individuellen Fähigkeiten des Menschen, nicht um seine Fertigkeiten. Ich trainiere nie auf kurzfristige Ziele eines Unternehmens hin. Man muss den Prozess permanent aufrechterhalten wollen. Auch mit Schmerzen, sogar mit Ablösung, wenn jemand entdeckt: Mein Ich passt nicht mehr in dieses Unternehmen.